NoticiasCaracol berichtet am 15.1.2013 in einem mehr als sechsminütigen Video über die Anschuldigungen, die Ex-Präsident Uribe und Präsident Santos gegenseitig erheben. Unter anderem geht es darum, wer für den unglücklichen Ausgang des Verfahrens vor dem Internationalen Gerichtshof verantwortlich ist. Im Zuge dieser Auseinandersetzung hat Uribe seinen Nachfolger als „canalla“ (Schurke, Schuft) bezeichnet. In einem Interview, das bei NoticiasCaracol im Internet zu lesen ist, wird Uribe unter der Überschrift „Sobre insultos“ mit folgenden rechtfertigenden Worten zitiert:
„La peor exageración, el peor insulto a la opinión publica es mentir“.
Es ist nicht ganz deutlich, was Uribe damit sagen will. Er kann meinen, dass Santos gelogen und deshalb die Bezeichnung „canalla“ verdient habe. Er kann auch meinen, dass er (Uribe) mit der Bezeichnung „canalla“ nicht gelogen habe und sie deshalb gerechtfertigt sei. Gleich wie die Bemerkung Uribes gemeint ist, überzeugt sie mich nicht. Allein schon die abwertende Bezeichnung seines Amtsnachfolgers als „canalla“ ist beleidigend. Ich darf zum Beispiel niemanden „Arschloch“ nennen, auch wenn ich den Betreffenden der Lüge bezichtige und noch hinzufüge, dass ich mit meiner Wortwahl aber keineswegs eine Beleidigung aussprechen würde. Es bleibt eine Beleidigung.
Ich meine, dass Uribe sich gehörig im Ton vergriffen hat.
Ein Amtsvorgänger, insbesondere wenn es sich um einen Elder Statesman handelt, darf durchaus zu politischen Fragen Stellung nehmen. So tut es Alt-Bundeskanzler Helmut Schmidt regelmäßig. Er äußert sich allerdings nur zu allgemeinen (wirtschafts-)politischen Grundsatzfragen. Antworten auf Fragen, welche die Tagespolitik betreffen, lehnt er konsequent ab. Es ist unvorstellbar, dass Helmut Schmidt seinen unmittelbaren Amtsnachfolger Helmut Kohl oder Angela Merkel (beide Nachfolger aus dem gegnerischen politischen Lager) als „canalla“, also Schurke oder Schuft bezeichnen würde.