von Gado » 20 Okt 2017, 04:09
Es ist aufschlussreich, zu dem Artikel zurückzukehren, den cosmopolita in seinem Beitrag vom 15.10.2017 verlinkt hat. SEMANA berichtet darüber, dass Schwerverbrecher unverständlicherweise vorzeitig aus der Haft freigelassen worden sind. Aus meiner Sicht ist Folgendes aus dem Artikel wichtig:
Mauricio Pachón alias Puntilla wird als Chef einer der gefährlichsten Banden in Kolumbien unter anderem des illegalen Drogenhandels beschuldigt. Außerdem hat ein Zeuge ausgesagt, Puntilla habe ihn in zwei Fällen als Auftragsmörder gedungen, sodass in diesen Fällen zwei Personen auf Geheiß Puntillas getötet worden seien.
Puntilla wurde im April 2016 festgenommen. Nach einem Jahr Haft ordnete ein Richter Puntillas Freilassung an, weil die Staatsanwaltschaft untätig geblieben war. Wenige Meter vom Gefängnis entfernt wurde Puntilla nach seiner Freilassung wegen anderer Straftaten von der Polizei erneut festgenommen. Ein anderer Richter ordnete jedoch an, Puntilla wegen eines Verfahrensfehlers freizulassen, weil Puntilla im Gefängnis nicht über den neuen Vorwurf informiert worden sei. Wenige Stunden später erließ ein wieder anderer Richter die Anordnung, Puntilla zu verhaften. Dieser war jedoch schon geflohen, ist bis jetzt auf freiem Fuß und geht seinen Drogengeschäften nach.
Richard, ein Anführer des Clan del Golfo, saß mit Puntilla in einer Zelle. Richard wurde nach einem Jahr Haft freigelassen und geht zusammen mit den Leuten von Puntilla weiter Drogengeschäften nach.
In anderen Fällen erhob die Staatsanwaltschaft trotz dringenden Tatverdachts keine Anklage wegen Mordes, sondern warf den Tätern nur illegales Tragen von Waffen vor.
Wenn die Darstellung in SEMANA auch nur in Teilen der Wahrheit entspricht - wovon ich ausgehe -, wird daraus deutlich, dass die Staatsanwaltschaft in Kolumbien ihrem Auftrag zur Strafverfolgung nicht nachkommt. Man kann verstehen, wenn Staatsanwälte wegen Arbeitsüberlastung geringere Delikte nicht verfolgen. Unverständlich ist jedoch, dass Kapitalverbrecher und Bandenchefs nicht zeitgerecht angeklagt werden oder trotz dringenden Tatverdachts auf ein Kapitalverbrechen nur wegen einer weniger schweren Straftat ermittelt wird. Dies nährt den Verdacht, dass Bestechung im Spiel sei. Dieser Verdacht wird dadurch bestärkt, dass zur Zeit konkrete Bestechungsvorwürfe gegen Strafrichter der Corte Suprema im Raum stehen. Sie sollen unter anderem Strafverfahren verschleppt und zu den Akten gelegt haben.
Kolumbien hat außerdem die schwierige Aufgabe, die Straftaten der FARC-Guerilleros strafrechtlich aufzuarbeiten. Dazu wird viel Personal benötigt. Die Justicia Especial para la Paz (JEP) soll als Filter vor einem eigentlichen Strafprozess herausfinden, ob dem ehemaligen FARC-Kämpfer Straffreiheit gewährt wird oder ob er einer Bestrafung zugeführt werden soll. Wenn in der JEP nach denselben Regeln gearbeitet wird, wie dies in Staatsanwaltschaften und Strafgerichten zur Zeit geschieht, kann dies nur im Chaos enden. Das Motto casa por cárcel würde sich dann in liberación por cárcel verwandeln.