In der gedruckten Ausgabe der kolumbianischen Wochenzeitschrift SEMANA No. 1845 vom 10.9.2017 findet sich auf Seite 9 folgende Nachricht:
Ein neues Gesetz bestimmt, dass nur Personen, die von ihrem Wahlrecht Gebrauch gemacht haben, Zugang zu öffentlichen Ämtern haben. In der Nachricht wird beanstandet, dass in verdeckter Form eine Wahlpflicht eingeführt werde. Außerdem hätten nicht alle Kolumbianer die Möglichkeit, die Wahlurnen unter zumutbaren Bedingungen zu erreichen.
Der Wortlaut der Nachricht, die ich nicht im Internet finde, lautet:
Ha pasado inadvertido un artículo en la reforma política que prohíbe acceder a un cargo público a las personas que no hayan votado en las elecciones anteriores. En un país en donde gran parte del empleo depende del Estado, esa norma equivale a imponer en forma velada el voto obligatorio. Adicionalmente, en casos en que el acceso a las urnas es difícil, un colombiano se expone a quedar sin trabajo por falta de transporte, de guarderías infantiles y muchas otras razones. Además, una medida de esa naturaleza viola disposiciones de la Convención Americana sobre Derechos Humanos y otros tratados públicos internacionales.
Den Vorwurf, die neue Vorschrift enthalte eine verdeckte Wahlpflicht, teile ich nicht. Denn Art. 258 Satz 1 der Constitución Política de Colombia lautet:
"El voto es un derecho y un deber ciudadano."
http://www.corteconstitucional.gov.co/i ... 202015.pdf
Weil die Stimmabgabe ein deber ciudadano ist, halte ich es zunächst einmal für möglich, an die Verletzung der Wahlpflicht Sanktionen zu knüpfen. Wenn der Staat das verfassungsrechtlich verbürgte Wahlrecht jedoch nicht gewährleisten kann, weil nicht alle Wahlurnen in zumutbarer Weise erreichbar sind, darf er an die Verletzung der Wahlpflicht keine Sanktionen knüpfen. Zumindest müsste er den Betroffenen die Möglichkeit einräumen, darzulegen, dass sie keine Möglichkeit hatten, ihr Wahlrecht unter zumutbaren Bedingungen auszuüben.
Darüber hinaus ist der Hinweis darauf, dass die Einschränkung zum Zugang zu öffentlichen Ämtern der Convención Americana sobre Derechos Humanos widerspricht, zutreffend. Dort heißt es in Art. 23 Abs. 1b), das alle ciudadanos das Recht haben, de tener acceso, en condiciones generales de igualidad, a las funciones de su país.
In Art. 23 Abs. 2 werden bestimmte Ausnahmen vom Grundsatz des gleichen Zugangs zu öffentlichen Ämtern gemacht. Eine Ausnahme für Personen, die von ihrem Wahlrecht bzw. ihrer Wahlpflicht keinen Gebrauch gemacht haben, ist nicht vorgesehen.
https://www.oas.org/dil/esp/tratados_b- ... umanos.htm
Somit verstößt die gesetzliche Neuregelung nicht nur gegen originäres kolumbianisches Recht, sondern auch gegen die internationale Convención Americana sobre Derechos Humanos. Diese Convención geht gemäß Art. 93 Satz 1 der Constitución Política de Colombia dem kolumbianischen Recht vor.
http://www.corteconstitucional.gov.co/i ... 202015.pdf