In Bogotá fuhr ein Motorradfahrer über eine Brücke. Er wollte einem Schlagloch ausweichen. Dabei stürzte er. Er fiel in die Tiefe und starb, weil an dieser Stelle der Brücke die Straßenbegrenzung fehlte.
Es wird berichtet, dass der Schaden an der Brücke seit einem Jahr bekannt war und dass in Kolumbien durchschnittlich 10 Motorradfahrer pro Tag tödlich verunglücken.
https://noticias.caracoltv.com/bogota/m ... da-ie26636
Ich habe mich gefragt, ob Erben und Angehörige des verstorbenen Motorradfahrers einen Schadensersatzanspruch gegenüber denjenigen Personen oder Institutionen haben, die für den schlechten Zustand der Brücke verantwortlich sind. Zu denken ist an Ersatzansprüche für die Beerdigungskosten, Schmerzensgeldansprüche der Hinterbliebenen oder Ansprüche von Personen, denen gegenüber der Verstorbene unterhaltspflichtig war oder geworden wäre.
Artikel 2 Abs. 2 der kolumbianischen Verfassung beginnt wie folgt:
"Las autoridades de la República están instituidas para proteger a todas las personas residentes en Colombia, en su vida" …..
http://www.corteconstitucional.gov.co/i ... lombia.pdf
Aus dieser Vorschrift lässt sich aber nicht unmittelbar ein Schadensersatzanspruch herleiten. Vielmehr müssen die üblichen Anspruchsvoraussetzungen vorliegen. In Betracht kommt eine fahrlässige Verletzung der Verkehrssicherungspflicht seitens der Personen, die für die Sicherheit der Brücke verantwortlich sind.
Zur Verkehrssicherungspflicht verweise ich auf den vorletzten Absatz meines Beitrags vom 16.01.2017.
viewtopic.php?f=5&t=730#p3350
Entscheidend ist, ob die für die Brücke Verantwortlichen fahrlässig waren, als sie das Schlagloch nicht beseitigten und die Begrenzung der Brücke nicht vervollständigten. Fahrlässig handelt, wer die erforderliche Sorgfalt außer Acht lässt. Im römischen Recht galt der Grundsatz: Nemo tenetur divinare. Von niemandem wird verlangt, dass er hellsieht. Er muss aber die im Verkehr erforderliche Sorgfalt wahren.
Der Sorgfaltsmaßstab für die Sicherheit von Brücken ist in Kolumbien weniger streng als in Deutschland. Schlechter Straßenzustand ist in Kolumbien eher toleriert als in Deutschland. Da in Kolumbien auf dem Papier viel angeordnet und geregelt wird, gibt es wahrscheinlich eine Vorschrift, die besagt, wie und in welchem Zeitraum Schlaglöcher und fehlende Begrenzungen zu beseitigen sind. Gibt es solche Anordnungen nicht, ist es Sache der Gerichte, im Einzelfall zu entscheiden, welche Sorgfalt hätte beachtet werden müssen. Der deutsche Bundesgerichtshof legt in solchen Fällen eher strenge Maßstäbe an. Ein kolumbianisches Gericht hätte zu Lasten der Verantwortlichen zu berücksichtigen, dass kolumbianische Autoritäten gemäß Art. 2 Abs. 2 der Verfassung das Leben der Bürger zu schützen haben.
Selbst wenn ein fahrlässiger Verstoß gegen die Verkehrssicherungspflicht vorläge, würden die Personen, die Schadensersatz verlangen können, nur mit einer geringfügigen Zahlung rechnen können. Denn angesichts des bekanntermaßen zum Teil schlechten Zustands kolumbianischer Straßen wäre dem verstorbenen Motorradfahrer ein erhebliches Mitverschulden anzulasten, weil er das Schlagloch zu spät erkannt hat. Das würde etwaige Schadensersatzansprüche entsprechend mindern.
Erschreckend ist, dass jährlich in Kolumbien etwa so viele Motorradfahrer im Straßenverkehr sterben, wie es in Deutschland Verkehrstote insgesamt gibt.