Der letzte Satz meines Eröffnungsbeitrags lautet: „Eine Unterscheidung allein nach der Nationalität wäre verfassungswidrig.“ Dabei habe ich bewusst das Adverb „allein“ verwendet. Demgegenüber hat heine im letzten Absatz seines Beitrags vom 28.11.2018 geschrieben: „Einheimische sind jedoch vom kolumbianischen Staat natürlich anders zu behandeln als Ausländer.“
Zur Beantwortung der Streitfrage sind die Artikel 13, 24 und 26 der kolumbianischen Verfassung einschlägig. Diese Vorschriften lauten - soweit für die Diskussion von Bedeutung - wie folgt:
Artículo 13. Todas las personas nacen libres e iguales ante la ley, recibirán la misma protección y trato de las autoridades y gozarán de los mismos derechos, libertades y oportunidades sin ninguna discriminación por razones de sexo, raza, origen nacional o familiar, lengua, religión, opinión política o filosófica.
Artículo 24. Todo colombiano, con las limitaciones que establezca la ley, tiene derecho a circular libremente por el territorio nacional, a entrar y salir de él, y a permanecer y residenciarse en Colombia.
Artículo 26. Toda persona es libre de escoger profesión u oficio. La ley podrá exigir títulos de idoneidad. Las autoridades competentes inspeccionarán y vigilarán el ejercicio de las profesiones. Las ocupaciones, artes y oficios que no exijan formación académica son de libre ejercicio, salvo aquellas que impliquen un riesgo social.http://www.corteconstitucional.gov.co/i ... lombia.pdf Art. 26 garantiert die Berufsfreiheit für “toda persona“, also für Ausländer gleichermaßen wie für Inländer. Dass mit “toda persona“ nicht nur Kolumbianer gemeint sind, ergibt sich aus Art. 24, der im Gegensatz zu “toda persona“ einschränkend von “todo colombiano“ spricht.
Nach Art. 26 Satz 2 darf der einfache Gesetzgeber die Berufsfreiheit durch geeignete Maßnahmen (títulos de idoneidad) einschränken. Dabei ist der Gleichheitssatz des Art. 13 zu beachten. Nach dieser Bestimmung sind alle Personen - auch Ausländer - vor dem Gesetz gleich. Sie dürfen nicht wegen ihrer Nationalität (origen nacional) diskriminiert werden.
Daraus folgt, dass eine Ungleichbehandlung bei der Wahrung der Berufsfreiheit
allein wegen der Ausländereigenschaft verfassungswidrig ist. Vielmehr ist ausschließlich nach dem in Rede stehenden Beruf festzulegen, welche Einschränkungen geeignet und erforderlich sind. Art. 26 Satz 3 zeigt, dass schon die Verfassung je nach der vorhandenen Ausbildung unterscheidet, welche Anforderungen an die Berufsausübung gestellt werden dürfen. Nicht akademische Berufe dürfen nur insoweit eingeschränkt werden, wie sie ein soziales Risiko (riesgo social) darstellen.
Die in diesem Faden angesprochenen Tätigkeiten als Straßenverkäufer, Perlenkettenverkäufer oder Restaurantbetreiber erfordern keine akademische Ausbildung. Natürlich muss sich jeder, der sich in Kolumbien beruflich betätigen will, legal im Land aufhalten. Sonst besteht das Risiko, dass das Gemeinwohl gefährdet wird. Ein Ausländer, der sich legal in Kolumbien befindet, darf aber nicht „allein“ deswegen, weil er Ausländer ist, schlechter behandelt werden als ein Kolumbianer. Vielmehr muss dafür ein sachlicher Grund bestehen.
Bei Touristen, die nach Kolumbien kommen und ein Restaurant eröffnen wollen, liegt ein soziales Risiko vor, das Einschränkungen rechtfertigt. Denn ein Restaurantbetreiber muss zuverlässig sein und vor allem die hygienischen Standards einhalten. Davon kann man bei einem ausländischen Touristen, der nach Kolumbien kommt, nicht automatisch ausgehen. Deshalb darf der Staat an einen solchen Ausländer besondere Anforderungen stellen. Bei Venezolanern, die sich legal in Kolumbien aufhalten und als Straßenverkäufer betätigen, dürfte das soziale Risiko kaum anders einzustufen sein als bei Kolumbianern.
Bei der Einschränkung der Berufsfreiheit darf also nicht „allein“ auf die Nationalität abgestellt werden. Vielmehr muss für jede Einschränkung ein sachlicher Grund vorliegen, den das Gemeinwohl erfordert.