von Gado » 15 Apr 2013, 04:02
Refajo bemängelt, dass das Oberlandesgericht München nach Bekanntwerden des Fehlers im Akkreditierungsverfahren zu einer Korrektur nicht bereit war (1). Er meint, der Umweg über das Bundesverfassungsgericht wäre erspart geblieben, wenn das Oberlandesgericht früher eingelenkt hätte (2). Meine nachfolgenden Ausführungen sollen zum besseren Verständnis der Situation beitragen:
1. Der Fehler bei der Benachrichtigung im Akkreditierungsverfahren ist in der Justizpressestelle, nicht im Strafsenat passiert. Gleichwohl muss sich das Gericht Fehler der Pressestelle zurechnen lassen. Welche Korrektur hätte der Senat aber vornehmen sollen, nachdem ihm der Fehler der Pressestelle bekannt wurde? Hätte er ein neues Akkreditierungsverfahren einleiten sollen, wobei einigen Presseorganen, die bisher einen Platz hatten, dieser wieder aberkannt worden wäre? Hätte er Plätze an türkische Medien zu Lasten bisher akkreditierter Medien oder zu Lasten der Saalöffentlichkeit vergeben sollen? Es ist doch klar, dass jeder, der aufgrund einer Platzvergabe an die türkischen Medien benachteiligt worden wäre, seinerseits Verfassungsbeschwerde eingelegt hätte. Deshalb hat das Oberlandesgericht das einzig Richtige getan, als es nichts tat, sondern die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts abwartete. Denn nun weiß das Oberlandesgericht noch vor Prozessbeginn, wie es sich bei der Sitzplatzvergabe richtig verhalten soll.
Im Grunde genommen konnte dem Oberlandesgericht gar nichts Besseres widerfahren, als dass es vom Bundesverfassungsgericht eine Weisung erhielt. In diesem Zusammenhang spielen auch die Vorschriften der Strafprozessordnung (StPO) eine Rolle. Nach § 338 Nr. 6 StPO liegt stets ein Revisionsgrund vor, wenn die Vorschriften über die Öffentlichkeit des Verfahrens verletzt worden sind. Nachdem sich nun das Bundesverfassungsgericht zur Frage der Zulassung türkischer Medien geäußert hat, kann diese Frage realistischer Weise nicht mehr Gegenstand eines späteren Revisionsverfahrens vor dem Bundesgerichtshof sein.
Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner einstweiligen Anordnung vom 12.4.2013 - 1 BvR 990/13 - zum Ausdruck gebracht, dass es bei der Verfassungsbeschwerde um die gleichberechtigte Teilhabe türkischer Medien an Berichterstattungsmöglichkeiten zu gerichtlichen Verfahren geht. Eine Verletzung dieses Grundrechts würde gegen Art. 3 Abs.1 in Verbindung mit Art. 5 Abs. 1 Satz 2 Grundgesetz verstoßen. Ob ein solcher Verstoß vorliegt, hat das Bundesverfassungsgericht in seinem Beschluss vom 12. April aber gerade nicht entschieden. Vielmehr hat es gesagt, dass die Frage, ob ein Grundrechtsverstoß vorliege, im Eilrechtsschutzverfahren nicht abschließend geklärt werden könne, weil dies einer näheren Prüfung bedürfe und schwierige Rechtsfragen aufwerfe. Deshalb komme ich zu dem Schluss, dass das Vorgehen des Oberlandesgerichts nicht offensichtlich falsch gewesen sein kann.
Um dem Oberlandesgericht Hinweise für das weitere Vorgehen zu machen, hat das Bundesverfassungsgericht ausgesprochen, dass eine angemessene Zahl von Sitzplätzen für Vertreter ausländischer Medien mit besonderem Bezug zu den Opfern und den angeklagten Straftaten zu Verfügung zu stellen ist. Möglich sei ein Zusatzkontingent von nicht weniger als drei Plätzen, die nach dem Prioritätsprinzip oder nach dem Losverfahren vergeben werden. Dies könne zu Lasten der Saalöffentlichkeit geschehen. Allerdings bleibe es dem Vorsitzenden des Strafsenats unbenommen, anstelle dessen die Sitzplatzvergabe oder die Akkreditierung insgesamt nach anderen Regeln zu gestalten.
2. Die Annahme, bei einem Einlenken des Oberlandesgerichts sei der Umweg über Karlsruhe, also eine Einschaltung des Bundesverfassungsgerichts, erspart geblieben, erscheint zweifelhaft. Jeder, der sich im NSU-Prozess durch Maßnahmen des Vorsitzenden Richters beeinträchtigt fühlt, wagt wohl den Gang nach Karlsruhe. So hat das Bundesverfassungsgericht am 12.4.2013 folgende Verfassungsbeschwerden nicht zur Entscheidung angenommen:
a) Beschwerde eines Lesers türkischer Zeitungen, weil keine türkische Zeitung akkreditiert sei - 1 BvR 1002/13 -
b) Beschwerde eines Zuhörers, weil fünfzig Plätze für die Presse reserviert seien - 1 BvR 1007/13 -
c) Beschwerde eines Journalisten, weil ein „Personalwechsel“, z.B. wegen Erkrankung, nicht zulässig sei - 1 BvR 1010/13 -
Eine Beschwerde wegen Ausweiskontrollen für Zuschauer war erfolglos - 2 BvR 722/13 -.
3. Ich wage die Vorhersage, dass bei dem auf zweieinhalb Jahre angesetzten Prozess etwa ab dem dritten Verhandlungstag genügend Plätze für Presse und Zuschauer frei sind und auch die türkischen Botschaftsangehörigen ihr Interesse verlieren.