CDU will Justiz (stärker) beeinflussen

[Refajo]

[Gado]

Refajo nimmt in seinem vorstehenden Beitrag Bezug auf einen Artikel in spiegel.de. Dieser Artikel beruft sich als Quellenangabe auf „SPIEGEL-Informationen“. Ob diese zutreffen, muss offenbleiben. Im Folgenden gehe ich davon aus, dass der mitgeteilte Sachverhalt im Großen und Ganzen richtig wiedergegeben wurde.

Das Bundesverfassungsgericht ist dasjenige deutsche Gericht, das als eigenes Verfassungsorgan am stärksten im Spannungsfeld zwischen Judikative einerseits sowie Exekutive und Legislative andererseits steht. Seit Gründung des Bundesverfassungsgerichts im Jahre 1951 war und ist die große Politik das Problem dieses Gerichts (Uwe Wesel, Der Gang nach Karlsruhe, 1. Aufl. 2004, Seite 10). Schon 1952 entschied das Bundesverfassungsgericht in der Frage der Wiederaufrüstung gegen die Regierung, aber auch gegen die Opposition. „Dat ham wir uns so nich vorjestellt“, sagte Kanzler Konrad Adenauer (Uwe Wesel, a.a.O., Seite 12), der als Präsident des Parlamentarischen Rates die Formulierung des Grundgesetzes maßgeblich beeinflusst hatte.

Von Anfang an wurde also die richterliche Selbstbeschränkung der Verfassungsrichter gegenüber politischen Entscheidungen diskutiert. Dieser Konflikt war aus dem US- amerikanischen Verfassungsrecht bekannt. Aus der Rechtsstellung des Supreme Court stammt der Begriff "judicial self-restraint“. Das Bundesverfassungsgericht hat dazu in seinem Urteil vom 31.7.1973 - 2 BvF 1/73 - Folgendes ausgeführt:

Der Grundsatz des judicial self-restraint, den sich das Bundesverfassungsgericht auferlegt, bedeutet nicht eine Verkürzung oder Abschwächung seiner eben dargelegten Kompetenz, sondern den Verzicht „Politik zu treiben“, d.h. in den von der Verfassung geschaffenen und begrenzten Raum freier politischer Gestaltung einzugreifen. Er zielt also darauf ab, den von der Verfassung für die anderen Verfassungsorgane garantierten Raum freier politischer Gestaltung offenzuhalten.

Das Bundesverfassungsgericht bekennt sich also zum judicial self-restraint, muss sich aber der kritischen Diskussion stellen, ob es diesen Grundsatz in jedem einzelnen Fall wirklich beachtet hat. Mitunter zeigt sich schon eine gewisse Tendenz des Gerichts, seine Stellung als Verfassungsorgan (diesen Titel hat das Gericht sich selbst verliehen) auszuweiten.

So bezeichnet Pieroth (ordentlicher Professor an der Universität Münster in dem von ihm mit Jarass herausgegebenen Kommentar zum Grundgesetz, 9.Aufl. 2007, zu Art. 93) es als verfehlt, dass das Bundesverfassungsgericht sich als „Herr des Verfahrens“ in den vor ihm anhängigen Rechtssachen bezeichnet. Vielmehr sei das Gericht an das gesetzlich vorgeschriebene Verfahren gebunden.
Missverständlich sei es auch, wenn das Gericht sich als „Hüter der Verfassung“ bezeichne. Denn das Bundesverfassungsgericht stehe nicht außerhalb, sondern unter der Verfassung.
Unter Randnummer 4 zu Art. 93 schreibt Pieroth wörtlich: „ Das Verhältnis zur Gesetzgebung ist wegen der weitgehenden Kompetenzen des Bundesverfassungsgerichts zur Normenkontrolle besonders p r e k ä r.“

Wenn sich in diesem prekären Spannungsverhältnis Politiker über die Balance zwischen Bundesverfassungsgericht einerseits sowie Exekutive und Legislative andererseits seit 1952 Gedanken machen und dies jetzt wieder tun, so halte ich dies für normal. Es geht darum, eine ausgewogene Balance zu wahren. Refajos Wertung, CDU-Politiker wollten von Gewaltenteilung in einer Demokratie offenbar nichts wissen, teile ich nicht. Ebensowenig halte ich es für angebracht, deutschen CDU-Politikern zu unterstellen, sie hätten dasselbe Demokratieverständnis, wie es in Brasilien, Russland oder Katar herrscht. Dort sind Menschenrechte in Gefahr. Die Diskussion darüber, wie weit der judicial self-restraint des Bundesverfassungsgerichts zu gehen habe, tangiert die Menschenrechte im Kernbereich nicht.

Um nicht missverstanden zu werden: Ich halte die Änderungsvorschläge, die laut spiegel.de von den CDU-Politikern gemacht worden sein sollen, nicht für wünschenswert. Dennoch sehe ich in diesen Überlegungen nicht das Ende der Gewaltenteilung und das Ende des Verfassungsstaates Deutschland. Sollten CDU-Politiker die bei spiegel.de erwähnten Änderungen anstreben, messe ich einem solchen Vorhaben im Übrigen keine Erfolgschancen zu. Denn das Bundesverfassungsgericht genießt bei der Bevölkerung ein vielfach höheres Ansehen, als es die Politiker haben. Ein Änderungsvorhaben würde sich deshalb gegen die Meinung der Bevölkerung richten. Da wird Horst Seehofer, der für sich die Lufthoheit über den bayerischen Stammtischen reklamiert, schwerlich mitmachen. Die SPD hat laut spiegel.de schon verlauten lassen, sie gehe mit den Überlegungen der CDU-Politiker nicht konform.

[Refajo]

[Gado]

[Gado]

[Refajo]