Generalstreik und Arbeitsrecht

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Generalstreik und Arbeitsrecht

Beitragvon Gado » 24 Nov 2019, 05:15

Für Donnerstag, den 21. November, war ein Generalstreik (paro nacional) seit Langem angekündigt. Der zunächst friedliche Streik, der unter anderem zu massiven Verkehrsbehinderungen führte, schlug am Abend in Gewalt um. Auch am Folgetag kam es zu gewaltsamen Akten, sodass der Bürgermeister von Bogotá für die Nacht eine Ausgangssperre verhängte. Unter anderem ist eine Vielzahl von Transmilenio-Stationen verwüstet worden und unbenutzbar.

https://noticias.caracoltv.com/bogota/a ... uncionando

Noticias.caracoltv.com hat vor dem Generalstreik folgende Frage gestellt:

¿Está de acuerdo con las razones del paro nacional convocado para el próximo jueves 21 de noviembre?

Am 20. November um ca. 8 Uhr deutscher Zeit hatten 37.243 Nutzer geantwortet. 83,22% haben mit Ja, 16,78 % mit Nein gestimmt.

Finanzas Personales - verlinkt über semana.com - hat einen Rechtsanwalt gefragt, welche arbeitsrechtlichen Konsequenzen sich für Arbeitnehmer ergeben, die am Generalstreik teilnehmen. Der Rechtsanwalt hat sich wie folgt geäußert:

Der Generalstreik entbindet den Arbeitnehmer nicht davon, seine Arbeitsleistung erbringen zu müssen. Denn beim Generalstreik handelt es sich nicht um einen normalen Arbeitskampf. Fälle der Arbeitsbefreiung sind im Gesetz abschließend aufgezählt: Es handelt sich um die Ausübung des Wahlrechts, nachgewiesene schwerwiegende häusliche Katastrophe, Ausübung vorübergehender amtlicher Ämter, Mutterschaft, Vaterschaft, Stillen, Arzttermine, Tätigkeit in Gewerkschaftskommissionen und Teilnahme an der Beerdigung von Partnern/Arbeitskollegen (compañeros).

Wer am Generalstreik teilnehmen und deshalb nicht zur Arbeit erschienen möchte, muss dies vorher mit dem Arbeitgeber vereinbaren. Der Arbeitnehmer kann zum Beispiel anbieten, die versäumte Arbeit nachzuholen oder Urlaub zu nehmen.

Erscheint ein Arbeitnehmer unabgesprochen nicht zur Arbeit, muss er mit einer Gehaltskürzung oder einer Kündigung rechnen.

https://www.finanzaspersonales.co/traba ... mbre/80381

In Deutschland ist das Streikrecht in Art. 9 Abs. 3 des Grundgesetzes garantiert. Darunter fällt allerdings nicht der politisch motivierte Generalstreik.

https://de.wikipedia.org/wiki/Generalstreik
Jarass/Pieroth, Art. 9 Grundgesetz Rn. 40

Zulässiges Kampfziel eines Streiks ist nur das, was in Tarifverträgen geregelt werden kann und darf (Palandt/Weidenkaff, Vorbemerkung vor § 620 BGB Rn. 13).
http://juris.bundesarbeitsgericht.de/cg ... n&nr=18962 Rn. 52

In Deutschland entsprechen die arbeitsrechtlichen Konsequenzen eines Generalstreiks denjenigen in Kolumbien.
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Re: Generalstreik und Arbeitsrecht

Beitragvon Refajo » 24 Nov 2019, 10:53

Einen Streik im Sinne von Abeitsniederlegung kenne ich in Kolumbien gar nicht. Wenn kol. Taxifahrer beispielsweise "streiken", dann blockieren sie alle Hauptstraßen der Stadt. Wenn LKW-Fahrer "streiken", dann blockieren sie die Landstraßen und schneiden die u.a. die Versorgung der Städte mit Lebensmitteln ab.

"Paro nacional" würde ich deshalb vom Sinn her mit "Massenprotest" übersetzen.

Die offizielle Teilnehmerzahl an den landesweiten Protestmärschen wurde von der Polizei mit 207.000 angebeben, die Zahl der eingesetzten Polizisten und Soldaten mit 170.000. Das kam mir gleich komisch vor, denn wenn auf jeden Demonstranten (fast) ein Polizist kommt, hätten die Sicherheitskräfte die Gewalt doch leicht verhindern können, zumal alle Polizisten und Soldaten bewaffnet sind, während die übergroße Mehrheit der Demonstranten unbewaffnet war.

Die Zeitung Espectador hat eigene Schätzungen erhoben, wonach alleine in Medellín 226.000 Menschen demonstriert hätten. In Bogotá, Medellín und Bucaramanga zusammen kommt die Schätzung auf 446.000. Die offizielle Angabe von 207.000 Demonstranten im ganzen Land scheint also unrealistisch, zumal die Polizei nicht mitteilt, mit welcher Methode sie rechnet. Somit liegt der Verdacht nahe, dass die Polizei (entweder freiwillig oder unter Druck) zu niedrige Teilnehmerzahlen zu Gunsten der Regierung veröffentlicht.

Die Rücktrittsforderungen an Duque halte ich für übertrieben, da er erst im letzten Jahr mit deutlichem Vorsprung in freien Wahlen zum Präsidenten gewählt wurde.

Einige der möglichen Gründe für die Unzufriedenheit mit Duque könnten darin liegen, dass in der Stichwahl ein beträchtlicher Teil der Wähler nicht aus Überzeugung für Duque gestimmt hat, sondern nur um den Kommunisten Petro zu verhindern, und dass selbst das rechts-populistische Lager der Uribisten mit dem eigenen Mann (Duque) unzufrieden ist. Es könnte also sein, dass Menschen gemeinsam demonstrieren, denen der Präsident einerseits nicht rechts genug und andererseits nicht links genug ist. So zumindest habe ich es beim Cazerolazo beobachtet, bei dem auch unsere Uribe-treuen Nachbarn eifrig ihre Kochtöpfe "bearbeiteten".

Nachdem vor einem Monat der Uribismo bei den landesweiten Regionalwahlen deutliche Einbußen hinnehmen musste, würde ich das zusammen mit den aktuellen Massenprotesten gerne als Simmungswechsel interpretieren können. Allerdings darf man als Realist nicht vergessen: Eine Mehrheit der Kolumbianer hat den Friedensvertrag an der Wahlurne abgelehnt, die nötigen Stimmen beim Referendum zur Bekämpfung der Korruption sind nicht zustande gekommen, und eine deutliche Mehrheit hat (aus welchen Gründen auch immer) einen Präsidenten ins Amt gewählt, der als Kandidat klar angekündigt hatte, den Friedensvertrag "in Stücke zu reißen". (Später hat er seine Wortwahl zwar abgemildert, aber das ist wie bei der deutschen AfD: Die radikale Nachricht kam an.)
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Re: Generalstreik und Arbeitsrecht

Beitragvon Gado » 29 Nov 2019, 05:16

Bogotás Bürgermeister Peñalosa hat den Veranstaltern eines Concierto de Paro für den 8. Dezember - den 2. Adventssonntag - den Parque Simón Bolívar kostenfrei zur Verfügung gestellt. Aus diesem Grund wurde eine andere, dort bereits geplante Veranstaltung abgesagt.

https://noticias.caracoltv.com/bogota/p ... on-bolivar

Dazu meine ich Folgendes: Der paro nacional verliert an Ernsthaftigkeit und wird zu einer Eventveranstaltung für gewisse Kreise. Die Wirtschaft wird durch die immer wieder veranstalteten Straßenblockaden zunehmend beeinträchtigt. Gleichwohl ist es richtig, dass Peñalosa den Park für das Concierto de Paro zur Verfügung stellt. Das kann zur Beruhigung der angespannten Situation beitragen.
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Re: Generalstreik und Arbeitsrecht

Beitragvon Gado » 04 Dez 2019, 10:25

Nun soll das Concierto del Paro Nacional doch nicht im Parque Simón Bolívar stattfinden.

https://noticias.caracoltv.com/entreten ... on-bolivar
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