Meinung zu Corona-Demos

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Meinung zu Corona-Demos

Beitragvon Refajo » 06 Aug 2020, 09:14

Ein(e) unbekannte(r) Leser(in) hat auf Zeit-online einen Artikel zur Berliner Demo kommentiert. Treffender kann man es kaum formulieren
:
In Berlin haben die Leute nicht gegen Corona-Regulierungen demonstriert. In Berlin haben Menschen für Ihr Recht demonstriert, von der Komplexität der Welt überfordert zu sein.
Gegner einer Impfung, die es noch gar nicht gibt, verhutzelte Rentnerinnen, die im Rausch der Euphorie den Tag der Freiheit ausrufen, Menschen die tatsächlich glauben, die Maskenpflicht würde dadurch sofort abgeschafft. Die Journalistin Hayali wird bepöbelt, sie hätte die Versammlung auflösen lassen. Langhaarige Rocker und Metalfans tragen die Flagge eines Reichs umher, in dem sie für ihre Frisur zusammengeknüppelt worden wären und in der die Impfpflicht polizeilich durchgesetzt wurde. Thor Steinar T-Shirts und Pegida-Schilder. Und irgendwo sitzt eine junge Frau in Hippie-Klamotten mit einem Schild auf dem Rücken: „Deutschland braucht Jesus“.
Ich äußere mich nur deshalb zu diesem kollektiven kognitiven Vollversagen, weil ich auch hier zwei Aspekte wiedererkenne. Zwei Aspekte, die mir in meiner Arbeit ständig begegnen.
Zum einen vermittelt das Netz 2.0 den Eindruck, dass wir alle wichtig sind. In unserer Sucht nach Anerkennung und Relevanz verlieren wir aus den Augen, dass wir nur Ameisen in einem Haufen sind.
In der Egozentrik des Zeitgeistes und mit der Fähigkeit jeden Hirnfurz über Social Media öffentlich machen zu können, haben wir aus den Augen verloren, dass wir selber außerhalb unseres persönlichen Umfeldes für andere Menschen keinerlei Relevanz haben.
Und zum anderen der Verlust eines demokratischen Miteinanders.
Wir reden uns Bedeutung und Freiheiten ein, die wir nie hatten. Und als kleinster Teil einer Gesellschaft niemals haben werden. Denn wenn wir demokratisch leben wollen und die deutliche Mehrheit will, dass ich eine Maske trage, dann habe ich verfickt nochmal eine Maske zu tragen.
Das und nichts anderes bedeutet Demokratie. Und deshalb ist es auch vollkommen gleichgültig, ob da nun 20.000 Menschen öffentlich ihre Egozentrik zur Schau gestellt haben oder eine Million.
Entscheidend in einer Demokratie ist nicht gegen etwas zu sein. Sondern für etwas. Man muss Alternativen anbieten, Lösungskonzepte, in den politischen Diskurs gehen. Und zwar nach den Regeln der Gesellschaft, deren Demokratie man einfordert und die man mitgestalten will.
Genau deshalb ist Pegida gescheitert. Und genau deshalb wird die AfD langfristig keine politische Wirkkraft entfalten. Und deshalb wir nie etwas dabei herauskommen, wenn Impfgegner sich mit freiheitsliebenden Rentnern, Rechtspopulisten und fundamentalchristlichen Hippies zusammentun.
Und sie werden an ihrem Dunning-Kruger-Effekt scheitern. Denn wenn sie nicht einmal die Kompetenz besitzen zu verstehen, dass die Regulierungen Ländersache sind und Dunja Hayali keine Demonstration auflöst, haben sie auch nicht die Kompetenz ihre Forderungen zu artikulieren. Merkel öffnet keine Grenzen, die längst offen waren. Und Merkel erklärt auch keine Landtagswahlen für ungültig.
In ihrer Kompetenzlosigkeit verstehen sie nicht einmal, welche Kompetenzen ihnen fehlen.
Plötzlich ist jeder Epidemiologe, Virologe, Klimaforscher, Migrationsanalyst, Religionswissenschaftler und Jurist. Dabei haben die meisten nicht einmal das Grundgesetz verstanden. Und einige Verstehen nicht, dass es unsere Verfassung ist.
Sie plappern im psychologischen Bestätigungsfehler das nach, was Rattenfänger ihnen aus eigennützigen Gründen vorbeten. Getrieben von ihren Ängsten, ihrer Überforderung und davon, sich plötzlich ihrer Unwichtigkeit bewusst zu werden und einen Kontrollverlust zu erleben. Der nur darin begründet ist, dass sie sich vorher eine Kontrolle eingeredet haben, die sie nie hatten.
Wir leben in keiner „Meinungsdiktatur“. Wir leben in einer Kompetenzdiktatur. Denn wir leben in einer Demokratie, in der man bestimmte Voraussetzungen erfüllen muss, um die Gesellschaft mitgestalten zu können.
Die Gefahr ist, dass diese Menschen aber den Weg bereiten, um eine tatsächliche Diktatur heraufzubeschwören. Denn nach 75 Jahren Frieden und Freiheiten, wie sie noch kein Volk zuvor jemals gekannt hat, haben sie offenbar völlig aus den Augen verloren, welche Freiheiten sie tatsächlich haben.
Sie demonstrieren für Freiheit und merken nicht einmal, dass sie dabei eine der größten Freiheiten bereits in Anspruch nehmen. Sie kommentieren auf Social Media über den Verlust von Meinungsfreiheit und bemerken den Widerspruch nicht einmal.
Sie glauben tatsächlich die demokratische Mehrheit seien die Diktatoren, weil sie vor lauter Freiheit vergessen haben, was Unfreiheit tatsächlich bedeutet.
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Re: Meinung zu Corona-Demos

Beitragvon Gado » 07 Aug 2020, 08:49

Der Kommentar, den Refajo wiedergibt, ist mehr als ein Kommentar. Es ist ein eigenständiger lesenswerter Artikel. Die Autorin sieht folgende zwei Defizite in unserer Gesellschaft und insbesondere bei den Demonstranten:

1. Das Netz 2.0 vermittelt den irrigen Eindruck, dass wir alle wichtig seien.
2. Das demokratische Miteinander geht verloren.

Die Autorin hält den Demonstranten vor: Sie glauben tatsächlich, die demokratische Mehrheit seien die Diktatoren, weil sie vor lauter Freiheit vergessen haben, was Unfreiheit tatsächlich bedeutet.

Was die Autorin als Kommentar geschrieben hat, wird durch Artikel bestätigt und ergänzt, die in der ZEIT No. 33 vom 6. August 2020 erschienen sind:

Dunja Hayali berichtet auf Seite 9, dass in Berlin auch Menschen aus der Mitte der Gesellschaft demonstriert haben. Es war eine absurde Mischung von Regenbogenfahnen und Reichsflaggen, ein breites Spektrum von links außen bis rechts außen, Menschen, die die Sicherheitsmaßnahmen unverhältnismäßig fanden, Menschen, die die Existenz des Virus leugnen, Verschwörungspraktiker, Esoteriker, QAnon-Gläubige, „Querdenker711“-Anhänger, Antisemiten, Alt-Autonome.

Heinrich Wefing schreibt auf der Titelseite unter anderem: Zwar gibt es wohl auch so etwas wie ein Grundrecht auf Unvernunft; aber nur, wenn diese Unvernunft nicht ansteckend ist. Die Rechtsordnung lebt von Einsicht und freiwilliger Befolgung. Aber sie lebt auch davon, dass die Gesetze durchgesetzt werden, spürbar für den Rechtsbrecher und sichtbar für die rechtstreue Allgemeinheit. Der Staat muss akzeptieren, dass gegen seine Gesetze demonstriert wird, und die Demonstranten müssen akzeptieren, dass diese Gesetze dennoch gelten.
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Re: Meinung zu Corona-Demos

Beitragvon Arepa » 12 Aug 2020, 09:09

Die Demonstranten sagen sie setzen sich fuer die Grundrechte in Deutschland ein und treten sie gleichzeitig mit ihren Fuessen.
So viel Schwachsinn der Verschwoerungstheoretiker tut schon weh, da haben die Psychologen viel Arbeit mit diesen irregeleiteten Menschen. ;-)
Arepa
 


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